N. K. Jemisin
Zerrissene Erde: Roman
Buchlisten
»Zerrissene Erde: Roman« von N. K. Jemisin
In diesem preisgekrönten Roman führt uns die Autorin in eine chaotische, von Naturkatastrophen geplagte und durch sie geprägte Welt, die „Stille“ genannt wird, jedenfalls in diesem historischen Moment. Im Abstand von mehreren hundert Jahren reißt die Erde auf, Lava dringt hervor, viele Menschen finden den Tod, die Zivilisation geht unter. Die Menschen nennen diese Zeit „Fünftzeit“ und zu Beginn des Romans beginnt wieder eine solche Zeit. Wir folgen Essun, Damaya und Syenit, die unterschiedliche Ziele haben und deren Erzählstränge am Ende zusammengeführt werden.
Zunächst wird Essun vorgestellt – in einem Augenblick höchster Trauer. Fassungslos steht sie vor der Leiche ihres kleinen Sohnes. Ihr Ehemann, der den Kleinen umbrachte, ist mit ihrer Tochter verschwunden. Essun ist eine Orogene. Es bedeutet, dass sie Energien manipulieren kann, die seismische Ereignisse hervorrufen. Sie verheimlicht ihre Fähigkeit, doch jetzt könnte mit dem Beginn der Fünftzeit ihr Geheimnis ans Licht kommen. Sie verlässt ihr Dorf, um ihren Ehemann und ihre Tochter zu suchen und Rache zu nehmen.
Auch Damaya ist eine Orogene. Da es bei Strafe verboten ist, eine Orogene zu beherbergen, melden ihre Eltern sie. Sie wird nach Fulcrum gebracht, um in der dortigen Schule zu lernen, ihre Fähigkeiten zu kontrollieren.
Syenit hat bereits einige Jahre auf dieser Schule absolviert. Sie ist in der Hierarchie ein wenig aufgestiegen und soll nun mit einem Mann, der auf der höchsten Stufe steht, Kinder zeugen.
„Beginnen wir mit dem Ende der Welt, ja?“ So beginnt der Roman. „Bringen wir es hinter uns und wenden uns dann interessanteren Dingen zu.“ So geht es weiter. Ein großer Spannungsbogen wird so in den ersten Zeilen geschlagen und wir können nur atemlos der Erzählung folgen und auf das Ende warten, von dem wir ja wissen, dass es schon eingetreten ist.
Die Autorin beschreibt eine komplexe Welt, die sich nach und nach vor uns ausbreitet. Zugleich ist es eine grausame Welt, in der der Gedanke an das Überleben alles bestimmt, die Gesellschaft und die Menschen formt, alles auf das Weiterleben ausgerichtet ist, wenn wieder eine Fünftzeit kommt. Viele Zivilisationen gingen schon unter im Lauf der verschiedenen Fünftzeiten. Ihre Überreste lassen sich überall finden.
Nicht alle Bewohner der Welt sind Menschen. Rassismus und Sexismus sind integraler Bestandteil der Gesellschaft, die stark segmentiert ist. So haben Bewohner einen „Nutznamen“, je nachdem, welchen Nutzen sie der Gemeinschaft bringen können. Nicht nur die Magie, auch die Technologie spielt eine Rolle.
Sprache zieht uns die Handlung, lässt den Leser an die Personen herankommen. So spricht die Erzählstimme direkt zu Essun, aber nicht zu Damaya und Syenit, warum wird später deutlich. Trotzdem bleibt eine gewissene Distanz.
Der Hass der Natur auf die Wesen, die seine „einst makellose Oberfläche“ zerstörten wird thematisiert in den Katastrophen, die dieses Leben bedrohen. Die Autorin macht uns bekannt mit Vater Erde, der die Menschen hasst und wir müssen an Mutter Erde denken, die uns, den Mythologien nach, liebt, nährt und behütet. Wieviel näher ist der Gedanke an einen zornigen Vater Erde, wenn wir überlegen, wie sehr wir unseren Planeten schädigen und möglicherweise so weit zerstören, dass wir keine Lebensgrundlage mehr haben.
Die Personen bleiben trotz der Eindringlichkeit der Sprache etwas distanziert und machen doch neugierig darauf, wie es ihnen ergeht. Es liegt wohl daran, dass ich fast mehr Neugier auf die sich entfaltende Welt entwickelt habe als auf die handelnden Figuren. Nicht dass die Figuren langweilig wären, das Gegenteil ist der Fall. Sie werden im Verlauf der Geschichte interessanter, je mehr ich von der Welt erfuhr. Ich hoffe, dass der Verlag auch die beiden nächsten Teile übresetzt und bald herausbringt.
Die Autorin erhielt für diesen Roman, den ersten Teil einer Trilogie, den Hugo Award 2016 und das zu Recht. Für den zweiten und dritten Teil erhielt sie die gleiche Auszeichnung in den Folgejahren.