Guy Gavriel Kay
Am Fluss der Sterne
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»Am Fluss der Sterne« von Guy Gavriel Kay
Ren Daiyan ist der jüngere Sohn eines Untersekretärs des Reiches von Kitai. Sein Vater arbeitet am Rand des Reiches. Die Aussichten für seinen ehrgeizigen Sohn, jemals der Provinz zu entfliehen, gehen nur über das Bestehen der Beamtenprüfung. Ren träumt davon, die vergangene Größe des Reichs der Mitte wieder herzustellen. Als sein Lehrer, bei dem er für die Prüfung studiert, die Schule schließt, ist dieser Traum vorerst gestorben und er ist gezwungen, viele Jahre das Leben eines Gesetzlosen zu führen.
Während dieser Zeit wächst Lin Shan zu einer vollendeten jungen Frau heran. Ihr Vater hat sie wie einen Sohn erzogen. Sie lernte Kalligraphie, komponiert Lieder und entspricht so gar nicht dem Bild der schüchternen, zurückhaltenden Frau, das die Gesellschaft fordert. Shans Vater hat mit großer Sorgfalt einen Ehemann für sie ausgesucht. Er achtet ihre Fähigkeiten und lässt ihr mehr Freiheiten, als es üblich ist.
Ren wird derweil zum Kommandanten der Wache des Obersten Richters und bald darauf zu einem Militärkommandanten. Als das Steppenvolk der Altai einmarschiert, ist er der einzige General Kitais, der sich den Altai nicht ergeben muss. Tausende Kitai, darunter fast die gesamte Familie des Kaisers, werden gefangen in das Land der Steppenvölker geführt. Die Reichtümer des Landes werden geplündert. Ren befreit den einzigen überlebenden Sohn des Kaisers und hilft bei seiner Flucht. Ein unsicherer Friede wird geschlossen, dem Ren Daiyan beinahe zum Opfer fällt. Der Friede wird 200 Jahre halten.
Am Fluss der Sterne ist das zweite Buch des Autors, in dem er eine Geschichte auf dem Hintergrund des alten Chinesischen Reichs erzählt. Als Vorbild für die Geschichte dient grob die zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert herrschende Song-Dynastie des Reichs der Mitte. Die ersten Kaiser dieser Dynastie versuchten, das zersplitterte China zu einigen, mussten aber immer noch ihren stärkeren Nachbarn Tribut leisten. Die Dynastie fand ihr Ende durch die Eroberung Chinas durch die Mongolen.
Wie schon im Vorgängerband Im Schatten des Himmels nimmt sich der Autor viel Zeit, um die Situation vor uns auszubreiten und die Hauptpersonen einzuführen. Die sorgfältige Einführung der einzelnen Charaktere zieht sich über die ersten etwa 160 Seiten. Der Leser nimmt an Episoden des Lebens vieler Personen teil. Immer erfährt man, wenn ihre Rolle aus Sicht des Autors beendet ist, was aus ihnen in ihrem späteren Leben geworden ist, wie man sich an sie erinnert.
Mit wenigen Strichen wird die jeweilige politische Lage gezeichnet. Viel Platz nehmen die Beschreibungen des Kaiserlichen Hofs und des Hofstaates ein. Eine Welt für sich, in der die Bewohner des Landes wie Spielfiguren wirken, deren man sich bedarfsweise bedient. Viel wichtiger sind die Machtkämpfe, die Bespitzelungen, die Mordanschläge und die Intrigen der einzelnen Fraktionen untereinander. Mitglieder der aktuell unterlegenen Fraktionen müssen ins Exil gehen und kommen, wenn sich die Gewichte verschieben, wieder zurück. Bezeichnend ist, wie der ach so mächtige Kaiser von seinen Beratern und Ministern im Unklaren über die politische Lage gehalten wird. Er erfährt viele Dinge gar nicht oder erst viel später, so von einer entscheidenden militärischen Niederlage erst nach einem Jahr. Stattdessen wird er beschäftigt mit der Gestaltung seines Gartens und gelobt ob seiner herausragenden Kalligraphie.
Viele Personen tragen die Geschichte, aber es gibt im Roman nur eine Person, ohne die es gar keine Geschichte gäbe. Das ist natürlich Ren Daiyan. Seine Entwicklung wird überzeugend geschildert – ein beinahe sympathischer Held, um dessen Leben man zuletzt doch Angst haben muss. Er wirkt in seinem Ehrgeiz, Kitai wieder zu alter Größe zu führen, aufrichtig und wahrhaftig. Ein Mann, der als Jugendlicher zum ersten Mal tötete und nie mehr damit aufhörte. Er liebt die Dichterin Lin Shan mit tiefen Gefühlen, fast verzweifelt.
Auch die vielen notwendigen Nebenfiguren sind lebendig geschildert. Sie sind fast alle in dem formalen Dickicht des Beamtentums Chinas unterwegs. Die notwendigen Prüfungen umfassen auch umfassende Kenntnisse der Klassiker. Manches Gedicht vergangener Dichter wird zitiert, die Leser des vorigen Buches werden einige Namen erkennen.
Ein gelungenes Buch. Es hat einen etwas langsameren Rhythmus als Im Schatten des Himmels, ist nichts für Action-Fans. Ich bin darin versunken und warte gespannt auf das nächste Buch von Guy Gavriel Kay.