Bentley Little
Verderben
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»Verderben« von Bentley Little
Der Verlag bewirbt dieses Buch mit folgendem Kurztext:
"In einer Kleinstadt eröffnet ein neues Geschäft. Der Besitzer erfüllt die verwegensten Wünsche. Doch mit jedem Kauf vermachen die Kunden einen Teil ihrer Seele an ihn. Als er die ersten Gefallen einfordert, schleichen sich kleine Gehässigkeiten in den Alltag der Bewohner. Und dann geschieht der erste Mord ..."
In etwas längerer Fassung findet sich dieser Text auch auf der Rückseite des Buches wieder... Und jeder, der gerne Horror liest, denkt bei diesen Zeilen unwillkürlich an das Buch "In einer kleinen Stadt" von Stephen King . Darüber stolperte ich sofort, vor allem da Bentley Little vom Lübbe Verlag ja auch noch als "Meisterschüler des King of Horror" angepriesen wird. Da wird er doch nicht so dreist von seinem "Meister" abschreiben?!
Nachdem ich "Verderben" nun gelesen habe, kann ich folgendes sagen: Die einzige Parallele zwischen den beiden Büchern ist, dass es um ein Geschäft in einer Kleinstadt geht - und dass der Klappentext mit dem Inhalt eigentlich gar nichts zu tun hat.
"Verderben" spielt in Juniper, Arizona. Juniper ist eine verschlafene Kleinstadt, in der Innenstadt gibt es verschiedene Geschäfte: Einen Elektroladen, einen Buy-and-Save, einen Plattenladen, einen Friseur... Für exotische Dinge wie ausländische Filme oder teure Markenkleidung muss man schon den Weg nach Phoenix auf sich nehmen. Das soll sich schlagartig ändern, als die Discounterkette "DER LADEN" eine Filiale in Juniper plant. Der Stadtrat ist begeistert und lockt den Discounter mit Steuervergünstigungen und anderen Wettbewerbsvorteilen, die Besitzer der kleinen Geschäfte sind entsetzt, fürchten sie doch aufgrund niedrigerer Preise der Kette um ihre Existenz.
Noch bevor überhaupt mit den Bauarbeiten begonnen wurde, passieren bereits die ersten merkwürdigen Dinge: Jeden Morgen liegen tote Tiere auf dem Grundstück, auf dem die LADEN-Filiale entstehen soll, eines Tages wird sogar die Leiche eines Auswärtigen gefunden und seltsame Unglücksfälle gehören plötzlich zur Tagesordnung.
Der einzige Bewohner Junipers, der diese Bedrohung instinktiv wahrnimmt, ist Bill Davis. Seine Freunde Street und Ben kann er überzeugen, dass der LADEN nicht gut für die Stadt ist, seine Frau Ginny und vor allem die beiden Töchter Samantha und Shannon halten ihn aber bald für paranoid. Erst als der LADEN sich immer tiefer in der Stadt festsetzt, Junipers Gesicht verändert und mehr und mehr Lebensbereiche der Einwohner kontrolliert, wachen auch ein paar andere auf...
Bentley Little erzählt die Geschichte Junipers und seiner Einwohner gewohnt fesselnd, von der ersten bis zur letzten Seite ist die Handlung spannend und so hatte ich das Buch auch in kürzester Zeit gelesen. Er fängt den Kleinstadtflair mit all seinen guten und schlechten Seiten gekonnt ein, der Wandel Junipers vom liebenswerten, idyllischen Nest zu einem farb- und seelenlosen LADEN-Standort ist förmlich spürbar. Zudem versteht Little es meisterhaft, aus eigentlich alltäglichen Situationen und Vorkommnissen surreale Horrorszenarien entstehen zu lassen, die nah genug an der Realität sind, um dem Leser Gänsehaut zu bereiten.
Auch die Charaktere haben mich beeindruckt, denn sie sind Typen. Man kann sich gut in sie hineinversetzen, dazu trägt auch bei, dass Little häufig die Perspektiven wechselt und man so die Motive und Wandlungen der einzelnen Personen jederzeit gut nachvollziehen kann. Besonders intensiv geht er auf die Frage ein, wie weit der Einzelne in der heutigen Zeit bereit ist zu gehen, um seinen Lebensunterhalt trotz fortschreitender Arbeitslosigkeit zu sichern. Was lässt man sich alles gefallen, um einen dringend benötigten Job zu bekommen? Und was wird man alles in Kauf nehmen, um ihn auch zu behalten? Diese beiden Fragen stellen sich nach und nach beinahe jeder Figur, und je nach Charakter bleiben sie ihren Prinzipien treu oder werfen sie über Bord.
Bisher kannte ich von Bentley Little nur den Titel "Fieber" - ein unglaublich spannendes Buch mit einer tollen Idee - und einem meiner Meinung nach völlig misslungenen Ende. Ich hatte ein wenig Bedenken, dass der Autor sich auch hier am Ende "vergallopiert" und in Sphären abhebt, in die der Leser nicht mehr folgen kann.
Zum Glück war das nicht der Fall. Die Auflösung war für meinen Geschmack absolut gelungen - auch wenn nicht alles bis ins letzte Detail geklärt wurde, ergab am Ende doch alles Geschehene einen Sinn.
Das Buch ist in Amerika bereits 1998 unter dem Titel "The Store" erschienen, den ich wesentlich passender finde als "Verderben" - dieser Titel ist sehr blass und stellt keinerlei Verbindung zur Handlung her. Schade. Obwohl die Erstveröffentlichung also schon ein paar Jahre zurückliegt, hat "Verderben" dennoch nichts an Aktualität eingebüßt. Zwischen den Zeilen kann man kritische Töne über den Kapitalismus herauslesen, über die zunehmende Macht der Wirtschaft, die in der Politik eigentlich nur noch die richtigen Strippen zieht, um sich einen Vorteil nach dem anderen zu sichern. "DER LADEN agiert doch eher wie ein unternehmerischer Vampir. Er saugt diese Stadt aus und wird dadurch immer stärker." (Seite 298).
Aber auch die Kritik am Konsumverhalten des Einzelnen wird deutlich, denn nur durch unsere Geiz-ist-geil-Mentalität ist es den "Großen" möglich, die "Kleinen" aus dem Wettbewerb zu drängen und so über kurz oder lang eine lokale Monopolstellung zu erlangen.
Durch solche Kritik an aktuellen politischen und wirtschaftlichen Tendenzen, widerspricht Little definitiv allen Vorurteilen, die über das Horrorgenre so hartnäckig kursieren.
Die Marketingstrategie, die der Verlag für die Werbung zu diesem Titel gewählt hat, finde ich sehr unglücklich. Dadurch dass man nach dem Lesen des Kurztextes den Eindruck bekommen muss, dass es sich bei "Verderben" wohl nur um einen lauwarmen Aufguss eines King-Bestsellers handelt, werden potenzielle Käufer eher abgeschreckt als angezogen. Zudem wird es dem Titel auch in keinster Weise gerecht, denn Bentley Little beleuchtet den kleinsten gemeinsamen Nenner mit "Needful Things" von einer völlig anderen Seite.
Außerdem würde ich es begrüßen, wenn generell bei allen Little-Büchern die Titel aus dem englischen für die deutsche Übersetzung übernommen würden - sie sind durchgehend treffender, aussagekräftiger und moderner als die völlig zusammenhanglosen und beliebigen deutschen Titel.
Ob Bentley Little dem Vergleich mit Stephen King wirklich standhält, muss jeder Leser für sich selbst entscheiden. Aber abseits davon ist "Verderben" meiner Meinung nach auf jeden Fall eine lohnenswerte, kurzweilige Lektüre für alle Horrorliebhaber - und da Little im Großen und Ganzen auf allzu explizite Splatterszenen verzichtet, ist das Buch vielleicht auch für alle anderen geeignet, die gerne Spannendes lesen.