Terry Pratchett
Die Lange Erde
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»Die Lange Erde« von Terry Pratchett
Im Jahr 2015 tritt der Wissenschaftler und Bastler Willis Linsay mit einer geradezu umwerfenden Erfindung in den Fokus der Weltöffentlichkeit – einem Wechsler. Ein Gerät, das hauptsächlich aus einer Kartoffel im Karton und diversen elektronischen Bauteilen besteht. Die Bauanleitung ist im Internet abrufbar, so dass sich jeder Mensch kostengünstig und leicht das Gerät selbst herstellen kann. Mit Hilfe dieses Gerätes kann man sich auf parallele Welten, die einer fast exakten Kopie unserer Erde entsprechen und sich oftmals nur in einem anderen Entwicklungsstadium befinden, versetzen. Da es auf diesen Erden keine Menschen gibt, steht somit eine unendliche Anzahl unbewohnter Planten der Menschheit zur Verfügung. Eine Auswanderungswelle sondergleichen läuft an.
Aber nicht alle Menschen sind auf solch einen Wechsler angewiesen. Es gibt auch natürliche Wechsler, wie den jungen Joshua Valientè. Dieser kann sich allein kraft seiner Gedanken auf parallele Welten versetzen. Zusammen, oder vielmehr im Auftrag, von Lobsang, einem früheren Menschen der sein Bewusstsein in einen Computer hochgeladen hat und nun Chef einer mächtigen Firma namens Black Corporation ist, macht er sich auf, die unendliche Anzahl von parallelen Erden zu besuchen und zu erforschen. Auf ihrer Reise stellen sie fest, dass es in den parallelen Welten zwar keine Menschen, dafür jedoch Wesen gibt, die äußerlich an Trolle und Elfen erinnern. Diese Wesen begegnen den Menschen, bis auf wenige Ausnahmen, immerhin nicht feindlich. Jedoch haben alle diese Wesen eines gemein: Sie haben vor etwas Angst und befinden sich auf der Flucht in Richtung Datum-Erde. Also die Erde, auf der wir Menschen leben.
Eigentlich sollte man doch erwarten können, dass, wenn zwei so etablierte Autoren wie Stephen Baxter und Terry Pratchett zusammenarbeiten, etwas geradezu phänomenales ausgebrütet und zu Papier gebracht wird. Oder doch nicht? Nun, die Zusammenarbeit hat sich zumindest für mich als nicht unbedingt erstklassig herausgestellt. Und das hat viel Gründe.
Die lange Erde (OT: The long earth), erster Band einer mehrteiligen Reihe, ist zwar relativ flott geschrieben, dafür aber auch streckenweise gähnend langweilig. Es will so gar nichts wirklich interessantes passieren, obwohl man im Sekundentakt von einer parallelen Erde zur anderen wechselt. Und genau das ist das Problem. Joshua und Lobsang verweilen viel zu kurz auf diesen parallelen Welten um wirklich mal etwas aufregendes zu erleben. Der Spaßfaktor den ich als Leser dabei empfinde, ist genau so hoch wie der den ich haben würde, wenn mir für den Besuch des Deutschen Museums nur 2 Minuten zur Verfügung ständen – nämlich Null. Man erwartet förmlich, nein besser gesagt man sehnt sich den Augenblick herbei, indem die Autoren endlich einmal verweilen und etwas fesselndes und spannendes schreiben. Leider verstreichen diese Augenblicke ein ums andere Mal ungenutzt. Und wenn es dann wirklich einmal so weit ist, nämlich dann wenn Joshua und Lobsang den Grund für die Trollen- und Elfenflucht herausfinden, ist es auch schon wieder vorbei. Das ist nichts halbes und nicht ganzes.
Wenn auch die Idee paralleler Welten nicht neu ist und regelmäßig von irgendeinem Autoren verarbeitet wird, so ist es jedoch ein immer wieder interessant anmutender Entwurf. Pratchett und Baxter stellen der auswanderungswilligen Menschheit eine kleine aber fiese Gemeinheit in den Weg. Alles was aus Metall ist, kann nicht mit hinüber gewechselt werden. Zudem muss man die benötigten Werkzeuge und Geräte hinüber tragen können. Sich also in seine Wohnung stellen oder in sein Flugzeug setzen und mit diesen Richtung Erde 100.000 wechseln, ist nicht möglich. Man wechselt in der Regel nur mit dem allernötigsten und muss den Rest in der neuen Welt erst mühsam zusammenbauen. Auch der Traum mancher Schatzjäger, sich auf einer neuen Erde Gold und Juwelen zu besorgen um dann in der alten Welt in Saus und Braus zu leben, funktioniert nicht. Da es jeder macht (machen könnte) sind die heutigen Schätze dadurch nicht mehr selten, sondern in verschwendend großer Zahl vorhanden, was dadurch ihren Wert gegen Null tendieren lässt.
Was sich uns vielleicht noch als der Traum schlechthin darstellt, eine unendliche Anzahl neuer Welten die wir erobern und erforschen können, wird von den beiden Autoren schnell als sich anbahnendes Unheil entlarvt. Ausgewandertes Fachpersonal kann auf dem Arbeitsmarkt nicht ersetzt werden, eine Weltwirtschaftskrise ist die Folge. Menschen, die trotz der Apparatur nicht wechseln können (auch die gibt es), stellen ein politisches Risiko da, denn die ersten Agitatoren treten auf den Plan und halten Hetzreden. Das Chaos nimmt zu.
Die Charaktere wollen mich auch nicht so recht überzeugen. Weder Joshua, noch Lobsang, noch die später das Trio komplettierende Sally Linsay. Die Figuren sind ohne wirklichen Tiefgang und relativ oberflächlich gezeichnet. Einzig die Dialoge sind stellenweise recht witzig. Hier vermute ich mal die Handschrift von Terry Pratchett. Das rettet das dröge Geschehen aber leider auch nicht mehr. Vielleicht ist ja etwas dran, an dem alten Sprichwort: Viele Köche verderben den Brei.
Trotz all dieser Möglichkeiten die sich hier bieten, verkommt Die lange Erde zu einer Art Roadmovie ohne Sinn und Tiefgang. Baxter und Pratchett schaffen es für mich einfach nicht ihrer Story den nötigen Biss zu geben. Alles wird kurz angerissen, nichts zu Ende geführt. Episodenhaft eingeschobene Geschichten über Erlebnisse von Wechslern in den neuen Welten, vermischt mit der Grundstory über Joshuas und Lobsangs Reise, reichen nicht aus um das Buch zu dem zu machen, was es hätte sein können. Hier wurde einiges an Potenzial verspielt und ich vermisse regelrecht die visionären Entwürfe eines Stephan Baxter oder die abgedreht komischen Geschichten eines Terry Pratchett. Allerdings möchte ich auch nicht den Stab über das Buch oder die Autoren brechen. Ich bin mir ziemlich sicher (oder hoffe es zumindest), dass beide Autoren in dem Nachfolgeband noch eine ordentliche Schüppe drauflegen können. Möglichkeiten dazu bieten sich auf jeden Fall en masse. Es kann also nur besser werden.