Guy Gavriel Kay
Im Schatten des Himmels
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»Im Schatten des Himmels« von Guy Gavriel Kay
Während alle anderen jungen Männer danach bestrebt sind , ihre Prüfungen abzulegen und Beamter am kaiserlichen Hof zu werden, nahe am Zentrum der Macht und des Reichtums, ist Shen Tai von unstetem Wesen. Er hat viele Pfade beschritten und wieder verlassen, ohne sein Ziel zu erreichen. Ruhe hat er nur am Ort der Toten gefunden, einem Ort, der mit den Knochen zehntausender gefallener Krieger übersät ist. Er hat es nicht eilig in die Zivilisation zurückzukehren. Um seinen Vater zu ehren, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Gefallenen zu begraben und den Geister Frieden zu bringen. Dabei unterscheidet er nicht zwischen Freund und Feind, im Angesicht des Leids spielt es keine Rolle mehr, wer auf welcher Seite stand. Abgeschieden von der Welt weiß er nicht, was im Kaiserreich vor sich geht. Gesellschaft leisten ihm nur die Tiere, der Wind und die Geister der Toten. Für Abwechslung sorgen die gelegentlichen Hilfslieferungen der Taguren und Kitaner, die auf diese Weise seiner Arbeit Respekt zollen.
Seine selbstlose Tat bleibt nicht unbemerkt und als Belohnung und Zeichen ihrer Achtung erhält Tai von den Taguren 250 unermesslich kostbare und edle sardianische Pferde.
Sein Aufenthalt in seinem selbstgewählten Exil wird jäh beendet , als eine Assassinin im Tal auftaucht und versucht, Shen Tai zu töten. Und das schon bevor die Kunde seines unverhofften Reichtums den kaiserlichen Hof erreicht haben kann. Bytsan sri Nespo, ein Offizier der tagurischen Armee, rettet dem jungen Mann das Leben und übernimmt die Verantwortung für die kleine Herde, bis Shen Tai beim Kaiser vorstellig wird und eine Entscheidung über den Verbleib der Pferde getroffen wird. Shen Tai, der sich nie für das höfische Leben interessiert hat, wird nun zu einem Spielball der Mächte, wird umschmeichelt, bestochen und bedroht. Um Frieden zu finden, muss eine allseits befriedigende Lösung gefunden werden, damit Shen Tai Ruhe finden kann.
Kommentar:
Ich mag Guy Gavriel Kay. Seine Romane berühren stets mein Innerstes. Das Lied für Arbonne, die Löwen von Al Rassan, der Fürst des Nordens oder jetzt Im Schatten des Himmels, alle Bücher sind wunderbar geschrieben und erzählen spannende und anrührende Geschichten von einfachen Menschen, die ihrem Schicksal nicht entkommen können. Ambivalente, widerwillige Helden, die stets bemüht sind, das Richtige zu tun. Das Setting spiegelt das alte China wieder. Shen Tai ist ein einfacher junger Mann, allerdings kann er sich mit dem ihm vorgezeichneten Weg nicht abfinden. Er dient in der Armee, beginnt eine Ausbildung im Kanlin Kloster und bereitet sich auf die Beamtenprüfungen vor. Doch nichts beendet er, er ist ein Wanderer. Auf seinen Wegen findet er zwei sehr unterschiedliche Freunde. Bytsan sri Nespo, einen Offizier der ehemals feindlichen, tagurischen Armee. Und Sima Zian, einen Dichter.
Das Buch besteht aus drei Teilen. Der erste Teil spielt im Tal der Toten, der zweite Teil schildert seine Reise in die Hauptstadt Xi'An und der dritte Teil handelt von der Ereignissen, die nach seiner Rückkehr stattfinden. Die höfischen Etikette, die Beziehungsgeflechte, die Intrigen, die Bündnisse, alles ist Shen Tai fremd geworden. Aus seiner selbstauferlegten Isolation stürzt er in den brodelnden Sumpf der Hauptstadt.
Neben Shen Tai spielen auch sein Bruder , der es zum obersten Berater des ersten Minister gebracht hat und seine Schwester Lin- Mei eine wichtige Rolle. Dabei nutzt der Autor eine sehr verschachtelte Erzählung. Wie bei einer russischen Matrjoschka Puppe findet sich in einer Erzählung eine weitere Erzählung. Doch nie verliert der Autor den Faden oder den Überblick und am Ende versetzt er uns mit seinem Ideenreichtum in Erstaunen. Die Handlung wechselt ab der Mitte des Buches zwischen Shen Lin-Mei und Shen Tai, so bekommt der Leser einen Überblick, was während der Abwesenheit Shen Tais am Hof alles vorgefallen ist.
Viele Leser werden sich fragen, warum dieses Buch in das Fantasy fällt, obwohl es kaum Elemente des Genre enthält. Kitai ist ein erdachtes Land, es weist jedoch eine große Ähnlichkeit mit dem Reich der Mitte auf, es entsteht ein exotisches Bild, man fühlt eine gewisse Vertrautheit, auch wenn der Autor seiner Phantasie freien Lauf lassen kann, ohne Rücksicht auf politische Korrektheit. Einige Elemente der Fantasy finden sich in den Ritualen der Bögu und im Verhalten Meshags. Die Mischung aus Historischem, Fantasy und Abenteuer, gewürzt mit einer Prise Romantik ist ein Markenzeichen des Autors und begeistert auch Leser abseits des Genre. Ehrenhafte Männer, die sich großen Herausforderungen stellen müssen, ohne dabei sich selbst aufzugeben. Die Figuren wirken sehr lebendig und besitzen eine Tiefe, die den Leser in Erstaunen versetzt. Man empfindet, liebt, leidet und hasst mit ihnen.
Ergänzt wird der Roman durch eine wunderschön gezeichnete Karte des Reichs und einem Personenregister. Leider schmälert die Übersetzung den Genuss ein wenig. Die Aufgabe, dieses opulente Werk historischer Fantasy in unsere Sprache zu übertragen, haben sich zwei Damen geteilt. Welche den Genitiv beherrscht und welche nicht, kann ich nicht beurteilen aber es ist schon bemerkenswert wenn man Sätze liest wie ..von dem Weg...und ein paar Seiten weiter plötzlich ein wunderbarer Genitiv zu finden ist. Durch Nutzung des Dativs werden die Sätze ihrer Eleganz beraubt und die Sprachfertigkeit des Autors geschmälert. Als wirklich abschreckend empfinde ich die Werbung des Verlags: Games of Thrones in China. Dieser Roman ist mit GoT absolut nicht zu vergleichen, er ist anders aber besser. Ein großes Lob an den Verlag für die schöne Gestaltung des Buches.
Fazit:
Es handelt sich hier um einen abgeschlossenen Einzelroman, der alles beinhaltet, was das Herz eines Lesers begehrt: Ehre, Treue, Liebe, Mut, Hass, Verrat, Freundschaft und Intrigen, gemixt zu einer fesselnden Geschichte.